Bayer 04: Ein Verein findet seinen Sinn

Erschienen am 26.01.2021 bei W&V.

Bayer Leverkusen hat ein Problem, das Werbern eher selten begegnet: Das Produkt, in diesem Fall der Fußball, ist besser als die Wahrnehmung. Dadurch verliert die Marke an Strahlkraft. Anders als zum Beispiel der große FC Bayern, der seinen Lokalpatriotismus quasi im Vereinsnamen festgeschrieben hat, taugt Leverkusen nicht zum Stolz einer ganzen Region.

Köln, Mönchengladbach, Schalke und Dortmund – die Erstliga- Konkurrenz in unmittelbarer Nähe ist hochkarätig und spricht Fußballromantiker mehr an als ein Club, der einem Chemie- und Pharmakonzern gehört. Dieser Wettbewerbsdruck spiegelt sich auch in Zahlen wider. Bayer zählt rund 27 000 Mitglieder, während allein der unmittelbare Lokalrivale Köln auf über 100 000 kommt. Die Ruhrpottclubs Schalke und Dortmund haben noch mehr.

Doch ungeachtet des Standortnachteils reüssiert die Werkself sportlich auf einem konstant hohen Niveau. In den vergangenen elf Spielzeiten landete Bayer zehn Mal in den Top fünf der Liga und gehört zum Establishment des europäischen Vereinsfußballs.

Um diese Lücke zwischen Wahrnehmung und sportlichem Erfolg zu schließen, engagierte Bayers Marketing- und Vertriebsdirektor Bernd Schröder Anfang 2020 die Agentur Human Unlimited. Ein Schritt, der auf den ersten Blick unorthodox wirkt, schließlich besteht das Leistungsportfolio der Düsseldorfer Firma darin, Unternehmen einen gesellschaftlichen Sinn zu geben.

Das klingt esoterischer, als es ist. Denn Vereine agieren als globale Marken, die genau wie Nike und Adidas um Marktanteile konkurrieren. Und Konsumenten, Zuschauer und Fans gewinnt man heute mit klar definierten Werten, mit einer Haltung, die im Idealfall die Welt verbessert. Sinnfragen gehören inzwischen zum kleinen Einmaleins des Marketings – auch im Fußball, wie die Markenneuaufstellung von Leverkusen zeigt.

Eine Marke für das schöne Spiel

Schröder beauftragte Human Unlimited damit, ein konsistentes Markenbild zu schaffen, das die Werte des 1904 als Betriebssportclub der Bayerwerke gegründeten Vereins auf allen Kanälen verkörpert. Vom Design der Eintrittskarten, über die Social-Media-Kommunikation bis zum Parkplatz auf dem Vereinsgelände, alles wurde im Sinne der Marke überarbeitet. Mit dem Ergebnis der rund 100-tägigen Zusammenarbeit sei man „rundum zufrieden“, lobt Schröder die Agentur, die dem Verein weiterhin beratend zur Seite steht: „Wir wollten neu definieren, wie wir unser Verständnis von Bayer 04 besser zum Ausdruck bringen können“, erklärt Schröder.

Frank Dopheide, Gründer und Chef von Human Unlimited, ist es gelungen, diese Wahrheiten herauszuarbeiten. „Bei Bayer ist alles irgendwie immer gut“, bringt der erfahrene Werber und Ex-Handelsblatt-Geschäftsführer das Gefühl des Fußballstandorts Leverkusen auf den Punkt. Tatsächlich herrscht in Leverkusen – verglichen mit anderen Vereinen aus der Region – ein geradezu harmonisches Arbeitsklima. Der sportlich-kollegiale Leistungsgedanke ist somit einer der Markenwerte, die fortan die Außendarstellung prägen sollen.

Bernd Schröder leitet seit Mai 2019 das Marketing und den Vertrieb von Bayer Leverkusen. Der ausgebildete Mathematiker war zuvor in verschiedenen leitenden Geschäftsführungspositionen tätig, unter anderem bei der Direct Group Bertelsmann und bei Christ Juweliere. Dort arbeitete Schröder bereits mit dem Werber Frank Dopheide zusammen.

Das gelingt, weil die Verantwortlichen vor allem eins nicht haben: Ärger mit Ultras, den frenetischsten, aber auch politischsten Anhängern, oder Hooligans. Bayer-Fans nehmen dem Kapitän ihrer Mannschaft nicht die Binde ab – als Strafe für anhaltend schlechte Leistungen des Teams (so geschehen auf Schalke). Bayer-Fans halten auch keine Plakate mit dem Mäzen eines Bundesligakonkurrenten im Fadenkreuz hoch (so geschehen in Dortmund und Gladbach), und werfen keine mit Fäkalien gefüllten Bierbecher auf friedliche Zuschauer – eine von vielen Entgleisungen der polizeibekannten Kölner Hooligans. Bayer-Fans trösten sich nach Niederlagen lieber mit einer Stadionbratwurst und sagen sich, „nächste Woche gewinnen wir bestimmt wieder“.

Klar, auch in Leverkusen gibt es Menschen, die ihr ganzes Herzblut für den Verein hingeben und dabei mal über die Stränge schlagen. Das gesamte Umfeld reagiert jedoch weniger emotionsgesteuert als bei den anderen Clubs in unmittelbarer Nähe. Darum positionierten Schröder und Dopheide die Marke gezielt als Gegenpol zur Konkurrenz, die in Krisenzeiten zum Chaos neigt.

Der Verein will alle erreichen, die Fußball auf hohem Niveau sehen wollen, denen die extremen Ausprägungen der Fankultur aber eher suspekt sind. Auch auf Sicherheit im Stadion legen die Verantwortlichen großen Wert. Ansprechen soll diese Haltung nicht zuletzt Frauen und Familien. Die Botschaft: Für Karnevalsstimmung geht man zum FC Köln, aber hochklassigen Sport in gesitteter Umgebung finden Fußballliebhaber auf der anderen Rheinseite in Leverkusen.

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Fans sind „Global Citizens“

Doch was passiert, wenn der sportliche Erfolg, der Markenkern, ausbleibt? Hier verweist Schröder auf den gesamten Leitbildprozess, den er angestoßen hat. In diesem stellt die Marke neben dem sportlichen Bereich und der gesellschaftlichen Verantwortung nur eine von drei Säulen dar. „Erst mit allen drei sind wir Bayer 04“, erklärt Schröder.

Dass Leverkusen dem Thema Corporate Social Responsibility einen derart hohen Stellenwert gleich neben Außendarstellung und Sport einräumt, ist kein Zufall. Es untermauert vielmehr, dass der Profifußball gesellschaftliche Verantwortung ernst nimmt. Oder zumindest deren Wichtigkeit anerkennt. Am Ende geht es zwar ums Geschäft – aber das funktioniert immer seltener ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl.

Vereine denken zu eindimensional, wenn sie Fans bloß als Konsumenten mit einer stabilen Loyalität betrachten. Denn selbst Dauerkarteninhaber sind Gesellschaftsmitglieder mit Bedürfnissen, die weit über den Sport hinausgehen. „Wir müssen Fans viel mehr als Global Citizens verstehen, nicht als Event- und Online-Kunden“, fordert zum Beispiel Robert Zitzmann, Geschäftsführer bei Jung von Matt Sports. Die Hamburger Agentur startete zusammen mit Partnern den Podcast „football for future“, der die ökonomische und soziale Verantwortung des Fußballs thematisiert. Premierengast war gleich mal DFB-Präsident Fritz Keller.

„Wirtschaft beginnt mit der Erkenntnis, dass ohne Menschen kein Geschäft zu machen ist“, heißt es auf der Website von Human Unlimited. So geschwurbelt der Satz klingen mag, in Leverkusen trifft er sogar ein bisschen zu. Der Verein hat nämlich mit Rudi Völler, Simon Rolfes und Stefan Kießling drei ehemalige Bayer-Spieler in die Vereinsführung integriert. Das schafft Identifikation und Markenwerte wie Nähe zu den eigenen Fans. Und Letztere sind die Basis des Geschäftsmodells Fußball: ohne Publikum keine Sponsorengelder. So tun die Vereine gut daran, Sympathien nicht als selbstverständlich hinzunehmen und an ihren Marken zu arbeiten.

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